4. Südharz-Symposium 26.-27. Mai 2000 in Neustadt / Südharz

 
Luchs, Auerhuhn und andere wilde Tiere im Harz - wie lassen sich Auswilderungsprogramme und nachhaltiger Fremdenverkehr verbinden?

Vortrag von Dipl.-Geol. Friedhart Knolle
 

Nationalpark Harz - Wildnis willkommen!

Von Wilhelm Heinrich Riehl (1823 - 1897), dem geistigen Wegbereiter des modernen Naturschutzes, stammt das Zitat: "Nicht nur Wälder, sondern auch Wildnis und Wüstenei wie Moore, Heiden, Dünen und Felsen sind eine notwendige Ergänzung zum Kulturland". Über 100 Jahre hat es gedauert, bis sich diese Erkenntnis in Deutschland durchgesetzt hat. So weit, die “wilden Tiere” an die o.a. Aufzählung anzufügen, war aber auch Riehl noch nicht – zu nah war man geschichtlich und geistig noch an der Ausrottung vieler wilder Tierarten.

In Mitteleuropa lebten früher 17-18 Arten von großen Säugetieren. In geschichtlicher Zeit wurden in der Harzregion u.a. Tarpan (Equus przewalski), Wisent (Bison bonasus), Auerochse (Bos primigenius), Elch (Alces alces), Biber (Castor fiber), Wolf (Canis lupus), Luchs (Lynx lynx) und Braunbär (Ursus arctos) ausgerottet. Vor allem die drei letztgenannten Raubtiere wurden im Harz vom Menschen erbarmungslos verfolgt. Veränderungen der Lebensräume nicht zuletzt durch die zunehmende Bevölkerungsdichte und gezielte Bejagung führten zum Rückgang und schließlich zum Verschwinden dieser Tiere.

Für einen Nationalpark stellt sich die Frage, inwieweit solche in das Ökosystem gehörende Arten gezielt wieder angesiedelt werden können. Neben der Klärung biologischer Fragestellungen ist dafür vorab gezielte Aufklärungsarbeit in der Bevölkerung zu leisten. Nicht zuletzt dadurch sind Luchs und Auerhuhn mittlerweile zu starken Sympathieträgern für die Nationalparkbesucher geworden.
 

80% Zustimmung zur Auswilderung ausgestorbener Tierarten

Nationalparke tragen dazu bei, die "seelische Hungersnot" des Industriemenschen zu lindern - sie sind nicht nur Biotope, sondern auch Psychotope mit hoher Akzeptanz. Hier erholt sich nicht nur der Mensch, sondern auch die Natur vom Menschen. Das Leitmotiv der Bildungsarbeit in Nationalparken ist die Vermittlung von "Wildnis". Auch die europäischen Nationalparke, deren jahrtausendealte Landnutzungsgeschichte sicher nicht vergleichbar ist mit unberührter Natur in kanadischen Wäldern, tropischen Primärregenwäldern oder den Urlandschaften Patagoniens, haben die Aufgabe eine "Wildnis aus zweiter Hand" für alle Kreise der Bevölkerung erlebbar und sinnlich erfahrbar zu machen. Dies geschieht ganz im Sinne von David Henry Thoreau: "Es ist umsonst, wenn wir von einer Wildnis träumen, die in der Ferne liegt. So etwas gibt es nicht. Der Sumpf in unserem Kopf und Bauch, die Urkraft der Natur in uns, das ist es, was uns diesen Traum eingibt."

Das pädagogische Konzept des Nationalparks Harz beschreitet mit seiner Wildnispädagogik einen innovativen Weg der Natur- und Umweltbildung. Durch das Erfahren der Waldwildnis im Nationalpark Harz wird der verantwortungsbewußte Umgang mit nutzungsfreier Natur und allen darin ablaufenden dynamischen Prozessen gefördert. Die Vermittlung eines vernetzten Denkens und des Wissens um komplexe Zusammenhänge und Wechselwirkungen, des Gefühls weltweiter Verantwortlichkeit im Sinne der Agenda 21 als Einheit von ökologischen, ökonomischen und sozialen Elementen ist primäres Ziel.

Dazu gehören auch die Tiere, die in der Bildungsarbeit in anderen Ökosystemen oft ausgeblendet werden. Dass sich die Bevölkerung nichts sehnlicher wünscht als bestimmte Tierarten zurückzuholen, wird durch Umfragen immer wieder bestätigt. Gegenreaktionen und Ablehnung kommen oft nur von interessierten Lobbygruppen, deren Meinung viel zu schnell als “öffentliche Meinung” ausgelegt wird.

Die im Nationalpark Harz durchgeführte Besucherbefragung der GESELLSCHAFT FÜR WIRTSCHAFTSFORSCHUNG UND MANAGEMENT CONSULTING (1996) ergab bei der Besucherfrage 7: “Welche Aufgaben sollte der Nationalpark nach Ihrer Meinung erfüllen?” die mit 79,8% höchste Zustimmungsquote zum Antwortvorschlag: “Schutz bzw. Wiederansiedlung seltener Tiere und Pflanzen.”

Unsere diesbezüglichen Arbeiten werden somit sehr deutlich begrüßt; die Fragestellung dieses Referates kann im Ergebnis nur mit einem “ganz hervorragend” beantwortet werden!
 

Der Luchs

Der Luchs ist eine große, hochbeinige Katze mit Schulterhöhen von 60 - 75 cm. Mittel- und südeuropäische Luchse sind mit 18 - 20 kg etwa so schwer wie ein Reh. Typisch für den Luchs sind seine Pinselohren, welche die Hörfähigkeit antennenartig unterstützen. Das Gesicht des Luchses ist von einem Backenbart umrahmt, der im Winter mähnenartig lang ist. Neben dem hervorragenden Gehör ist auch die Sehfähigkeit des Luchses sprichwörtlich.

Die letzte erfolgreiche Luchsjagd des Harzes fand im Jahre 1818 statt. Fast 200 Personen wurden damals aufgeboten, um in elftägiger Jagd einen Luchskater zur Strecke zu bringen. Der sog. "Luchsstein" bei Lautenthal erinnert heute an dieses Ereignis.

In den vergangenen Jahrzehnten ist die Rolle von großen Beutegreifern als Teil der Biozönose neu definiert worden. Internationale Abkommen wie die Berner Konvention und das Washingtoner Artenschutzabkommen fordern heute den Schutz auch des Luchses. In Deutschland steht die Tierart daher mit ganzjähriger Schonzeit unter dem Schutz des Bundesjagdgesetzes.

Es hat inzwischen eine Reihe von Projekten gegeben, um den Luchs in Teilen seines ehemaligen Verbreitungsgebietes wiederanzusiedeln. Auf solche Projekte in den Nachbarländern Tschechien und Frankreich ist es zurückzuführen, dass der Luchs im Bayerischen Wald und im Pfälzer Wald bereits wieder seine Fährte zieht.

Durch eine intensive Öffentlichkeitsarbeit der Harzer Naturschutzverbände und ab 1994 der Nationalparkverwaltung Harz gelang es unter dem Motto “Der Luchs – ein alter Harzer”, den Luchs vom kritisch beäugten “Räuber” zum Harzer Sympathietier zu machen.

Im Herbst 1999 erfolgte der Beschluss zur Durchführung der Wiederansiedlung des Luchses im Harz. In bis dahin beispielloser Zusammenarbeit übernahmen das Niedersächsische Ministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten, das Niedersächsische Umweltministerium und die Landesjägerschaft Niedersachsen die Trägerschaft des Projektes. Die Projektdurchführung liegt bei der Nationalparkverwaltung Harz.

Um nicht in bestehende und zum Teil bedrohte Luchsvorkommen eingreifen zu müssen, sollen im Harz ausschließlich Gehegeluchse aus europäischen Tiergehegen ausgesetzt werden.

I m polnischen Kampinoski-Nationalpark vor den Toren Warschaus wurden bei einem ähnlichen Projekt seit 1993 erstmals Erfahrungen mit der Auswilderung von Gehegeluchsen gesammelt. Sie waren so positiv, dass sie den Ausschlag für den Verzicht auf Wildfänge im Projekt des Nationalparks Harz gaben.

In einem großen Eingewöhnungsgehege im Nationalpark werden die Tiere auf die Freiheit vorbereitet. Um die Verwilderung der Tiere zu fördern, werden die Kontakte mit Menschen auf ein Minimum beschränkt. Nach etwa zwei bis drei Monaten Eingewöhnung können die Tiere in die Freiheit entlassen werden.

Das Wiederansiedlungsprogramm wird voraussichtlich fünf bis zehn Jahre dauern. In jedem Jahr werden zwischen drei und fünf Luchsen freigelassen.

Waldbesucher werden vielleicht hin und wieder auf Spuren des Luchses stoßen oder seinen Paarungsruf hören, das äußerst scheue Tier aber praktisch kaum zu Gesicht bekommen. In einem sog. Ausweichgehege an der Nationalpark-Waldgaststätte Rabenklippe bei Bad Harzburg werden daher für die Dauer des Projektes Luchse gehalten, um die schönen, aber auch sehr scheuen Tiere für die Besucherinnen und Besucher des Nationalparks Harz in landschaftlich reizvoller Umgebung erlebbar zu machen. Das touristische Interesse an diesem Gehege ist schon jetzt sehr groß.

Um den Luchs in Mitteleuropa langfristig erhalten zu können, bedarf es der Verbindung vorhandener Kleinpopulationen. Das Harzer Luchsprojekt will dazu seinen Beitrag leisten. Aber es geht um weit mehr als nur um den Luchs. Die Vernetzung von Lebensräumen ist ein Thema, das mit dem Luchs als Galionsfigur einer ganzen Reihe von Tierarten zugute kommen wird.
 

Das Auerhuhn

Zusammen mit den Nadelbäumen haben die Auerhühner nach der letzten Eiszeit Europa besiedelt. Unsere damaligen Vorfahren haben sicher nicht daran gedacht, dass die Bevölkerung einmal so stark anwachsen würde, dass sie durch die Nutzung der Natur unseren größten Waldvogel in Gefahr bringen könnte. Und doch haben die sesshaft werdenden Menschen durch Siedlungsdruck und Naturnutzung die Auerhühner in die Gebirgs- und Mittelgebirgsregionen abgedrängt und regional auch ausgerottet. So ist im Harz der stolze Auerhahn zwischen 1920 und 1930 verschwunden.

War der „Urhahn“ noch vor wenigen Jahrzehnten ein Sinnbild für Männlichkeit, Kraft und urige Romantik, so machen wir uns heute Gedanken zu seiner Rettung in seinen ehemaligen Lebensräumen, unserer Heimat. Seit 1978 werden, begonnen durch die Niedersächsische Landesforstverwaltung und fortgeführt durch den Nationalpark Harz, Auerhühner gezüchtet und in den Hochlagen des Harzes ausgewildert. Mehr als 800 Tiere sind in den letzten 20 Jahren aufgezogen und ausgewildert worden. Eine gute Verbreitung der Auerhühner ist von größter Bedeutung. Wenig menschlicher Kontakt und naturgemäße Fütterung sind unerläßlich, um den Tieren den Übergang in die freie Wildbahn zu erleichtern.

Die Kammlagen des Harzes und hier besonders die Hangschulterbereiche sind der bevorzugte Lebensraum des Auerhuhns. Das Waldsterben und die besonders in den letzten Jahren sehr aktiven Borkenkäfer führen zu spürbaren Veränderungen in diesen Lebensräumen. Das Absterben der Altfichten in den Hochlagen bringt für die Auerhühner unter Umständen sogar ein verbessertes Nahrungsangebot, da auf den entstandenen Freiflächen viele „Futterpflanzen“ nachwachsen. Das gilt allerdings nur für den Sommer, denn im Winter ist das Auerhuhn zum größten Teil von Fichten als Nahrung und Deckung abhängig. Ein Abwandern der Tiere in die tieferen Lagen wird notwendig. Diese Umstellung bedeutet besonders für den 5 - 6 kg schweren Hahn einen enormen Stress. Umso wichtiger ist ein ruhiger und störungsfreier Winterlebensraum !

Die Zahl der im Freiland lebenden Tiere unterliegt deutlichen Schwankungen. Die Population ist noch nicht stabil, weshalb die Aussetzungen noch weitergehen werden. Ein seit 1995 laufendes und ab 1999 erweitertes begleitendes Monitoringprogramm soll Aufschluß über Bestandsentwicklung und Einflußfaktoren geben.

Dass der Auerhahn schon früher in hohem Ansehen gestanden hat, läßt sich noch heute an vielen erhalten gebliebenen und touristisch bekannten Ortsbezeichnungen erkennen. So gibt es im Harz noch die Gaststätte „Zum Auerhahn“, es gibt einen „Auerhahnplatz“, die Ortschaft „Hahnenklee“ und es gibt mit der Hasseröder Brauerei Wernigerode GmbH einen traditionsreichen Harzer Betrieb, der den Auerhahn als Wappentier verwendet. Auch identifiziert sich der Herzberger Ortsteil Lonau - hier werden die Auerhühner gezüchtet - so stark mit dem Auerhahn, dass er in das Ortswappen aufgenommen wurde und auf dem Ortseingangsschild die Gäste begrüßt.

Da an der Aufzuchtanlage nicht nur der Auerhahn, sondern auch der „Zahn der Zeit“ genagt hat, wurde zur Fortsetzung des Wiederansiedlungsprojektes ein Neubau notwendig. Hier hat sich neben dem Niedersächsischen Ministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten die Hasseröder Brauerei Wernigerode GmbH als großzügiger Sponsor zur Verfügung gestellt. Die Neuanlage besteht neben dem Aufzuchtbereich auch aus einem „Schaugehege“, das für Besucher zugänglich ist. Die Anlage ist bereits teilweise fertiggestellt und der Nationalpark Harz bedankt sich an dieser Stelle herzlich für die o.g. Unterstützung.

Das Auerhuhngehege Lonau wird ab Oktober 2000 neben dem Luchsgehege Rabenklippe zu "der" attraktiven Besucher-Informationsstelle im Nationalpark Harz. Hier wird demonstriert, dass Luchs und Auerhuhn im Nationalpark Harz eine Symbiose mit dem nachhaltigen Fremdenverkehr eingegangen sind.
 

Literatur

GESELLSCHAFT FÜR WIRTSCHAFTSFORSCHUNG UND MANAGEMENT CONSULTING (1996): Ergebnisse der Besucherbefragung im Nationalpark Harz (Herbst 1995). – Passau

Internetpräsentation Nationalpark Harz (1997-2000): http://www.nationalpark-harz.de

KNOLLE, F. (1999): Umweltbildung und Besucherlenkung in Großschutzgebieten am Beispiel des Nationalparks Harz. - Dokumentation "Fachtagung Beschäftigungsfelder im naturnahen Tourismus", 8. Januar 1999, Volkshochschule Neustadt an der Weinstraße, S. 27 - 33, 3 Anl.

KNOLLE, F. (1998): Einflüsse von Umweltbildungseinrichtungen auf Tourismus und Naturschutz in der Nationalparkregion Harz. - In: Nachhaltige Regionalentwicklung – eine Aufgabe für Umweltbildungseinrichtungen? – Schriftenr. Arbeitsgem. Natur- u. Umweltbildung, Bd. 8, S. 44 – 48, Temmen

NATIONALPARK HARZ (1999): Tätigkeitsbericht 1998 mit Übersicht der Arbeiten der ersten fünf Jahre. – Sankt Andreasberg

NATIONALPARK HARZ (2000): Tätigkeitsbericht 1999. – Sankt Andreasberg

NATIONALPARK HARZ (2000): Nationalparkplan. – Sankt Andreasberg

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