10. Die Helmetalbahn
10.1 VorgeschichteBereits vor 150 Jahren war eine Bahnstrecke durch das Helmetal geplant. Zuerst scheiterte das Vorhaben jedoch in den vierziger Jahren des letzten Jahrhunderts an den unterschiedlichen Interessen der jeweilig beteiligten Kleinstaaten. Jedoch schon 20 Jahre später wurde die Idee von der Südharzbahn wieder aufgenommen. Im Zuge der industriellen Entwicklung wurde eine durchgehende Schienenverbindung vom Ruhrgebiet nach Sachsen, eine sogenannte Ost-West Verbindung notwendig. Man entschloss sich jedoch die Strecke, aufgrund der guten und damit teuer einzukaufenden Ackerböden im Helmetal, weiter südlich am Harzrand entlang zuführen. Statt der relativ dünn besiedelten Helmeregion kam so die schon damals bevölkerungsreiche um Ellrich und Bad Sachsa zum Zuge. Am 1. August 1869 fuhr der erste Zug auf dieser sogenannten Südharzstrecke. Diente sie bis 1878 fast ausschließlich lokalen Interessen kam es seither zu einem stetigen Aufschwung. Im Jahre 1930 handelte es sich um eine der mit Güterverkehr am dichtesten belegten Strecken Deutschlands. Bis zum Jahre 1944 war die Kapazität der Strecke dann schließlich vollkommen ausgeschöpft.
10.2 Bau der Helmetalbahn 1944/45 Abb. 55 Einbindung der Helmetalbahn östlich von OsterhagenAls 1943 das Entwicklungs-, und Fertigungswerk der V2 Rakete in Peenemünde von britischen Bombern zerstört wurde, ordnete das Ministerium für Rüstung an, die Produktionsstätte untertage in die Höhlen und Stollen des Kohnsteingebietes zu verlegen. Um eine bessere Abschirmung der Rüstungstransporte auf der bereits maximal ausgelasteten Südharzstrecke zu gewährleisten entschloss man sich eine zweite Umgehungsstrecke für den durchgehenden und zivilen Bahnverkehr durch das Ichte-, und Helmetal zwischen Osterhagen und Nordhausen zu errichten. Bei der Planung der Streckenführung erinnerte man sich an die alten Pläne von 1860. So ist es heute wahrscheinlich, das die Planung und Trassierung von 1944 auf diesen Plänen aufbaute. Die neue Hauptbahnstrecke war 22 km lang und ursprünglich zweigleisig ausgelegt, jedoch wurde zuerst nur 1 Gleis verlegt. Der Bau erfolgte in 3 Bauabschnitte: Hessenrode, Günzerode und Mackenrode-Osterhagen. Zur Bauausführung wurden 2 SS Baubrigaden aus dem Raum Rhein-Ruhr an die streckenbegleitenden Südharzdörfer umgesetzt. Die Häftlinge stammten überwiegend aus dem KZ Buchenwald und waren zumeist russischer, polnischer, französischer und niederländischer Nationalität. Entlang der geplanten Neubaustrecke wurden neben einem externen Versorgungs-, oder Stammlager in Wieda, Außenkommandos der Baubrigaden in Mackenrode, Nüxei, Günzrode, Kleinwerther und Osterhagen eingerichtet. Das Lager Nüxei entstand unweit des Nussteiches. Ein Vorauskommando errichtete hier im Juni 1944 auf der Wiese hinter der Gaststätte Grenzkrug, direkt an der Steinafurt, Unterkünfte für die Häftlinge der III. Baubrigade. Am 3.7.1944 wurde das Lager mit 300 Häftlingen gefüllt. Diese Belegungszahl wurde in den kommenden rund 9 Monaten durch Auffüllungen in etwa immer gleichgehalten. Aus Aufzeichnungen geht hervor, das maximale 475 Häftlinge im Lager untergebracht waren. Abb.56 Das Lager Nüxei im April 1945
Der Baubeginn der Bahnlinie war im Mai 1944 auf gleichzeitig 3 Bauabschnitten. Für das Projekt gab es kein Planfestellungsverfahren oder eine ähnliche planrechtliche Grundlage. Der Grunderwerb im Streckenverlauf erfolgte überwiegend durch Enteignung. Den Landbesitzern begründete man dies mit der Kriegsnotwendigkeit des Projektes. Als Entschädigung versprach man den Bauern, für den Fall eines erfolgreichen Kriegsabschlusses, finanzielle Gegenleistungen. Der Bau der Eisenbahnlinie musste in einem unvorstellbaren Tempo durchgeführt werde. Es waren immense Erdbewegungen erforderlich, welche überwiegend in Handarbeit und mit primitivsten Gerätschaften durchgeführt wurden. So erfolgten die Waldrodungen und Erdarbeiten mit Schiebekarren und Körperkraft. Die monatelange körperliche schwere Arbeit bezahlten viele Häftlinge mit ihrem Leben. An technischen Hilfsmitteln wurden Feldbahnen der Fa. Krause, 2 Dampfloks und 4 Bagger eingesetzt. Die Bagger waren überwiegend bei den Einschnittarbeiten zwischen Mackenrode und Nüxei im Einsatz. Wegen Kohlemangel gab es wiederholt längere Stillstandzeiten der Dampfmaschinen. Das vorrückende der alliierten Streitkräfte ließ die Bauarbeiten Ende März 1945 einstellen. Das verfolgte Ziel die Bahnlinie bis Sommer 1945 in Betrieb zu nehmen konnte daher nicht mehr verwirklicht werden. Bis zum Abbruch der Arbeiten war die 22 kilometerlange Strecke bis auf kleiner Gleisabschnitte und Brückenbauarbeiten einspurig fertiggestellt. Auf der Trasse zwischen Mackenrode und dem Stadtrand Nordhausens war sie bereits zweispurig verlegt. Beachtlich ist aus heutiger Sicht das enorme logistische und auch fast erreichte Ziel eine zweispurige Bahnlinie auf 22 Kilometer Länge bei nur geringer technischer Ausstattung binnen weniger als 9 Monaten zu errichten. Es zeigt jedoch zugleich die mörderische Ausbeutung von Arbeitskraft, Gesundheit und Leben der Häftlinge. Ein Zeitzeuge beschrieb es später mit den Worten: „Unter einem Hagel von Faustschlägen und Fußtritten mussten wir uns die Technik der großen Sklavenarbeiten aus der Antike aneignen.“
10.3 Die Helmetalbahn nach 1945 Nach Kriegsende begann man 1946/47 unverzüglich mit dem Rückbau der Gleisanlagen, für die Strecke bestand kein Bedarf mehr, da sie im Grenzgebiet BRD-DDR nicht rentabel betrieben werden konnte. Heute sind viele Spuren dieser geschichtsträchtigen 9 Monate verschwunden. Im Gegensatz zum noch vorhandenen Bahndamm wurden die Lager nach Kriegsende abgerissen. Die Stätte des Lagers Osterhagen ist verbuscht, die des Lagers Nüxei Unland mit verbliebener Fundamentplatte der Schlafbaracke, der Platz des Stammlagers Wieda überbaut. Auch am Bahnhof Tettenborn sind alle Hinweise verschwunden. Bis in die jüngste Zeit fehlten im Landreis Osterode an diesen Plätzen des ehemaligen Verbrechens Gedenksteine oder Erinnerungstafeln. Lediglich in Mackenrode, Landkreis Nordhausen, wurde im Jahre 1995 vom Rat der Gemeinde ein Gedenkstein am ehemaligen Lagergelände errichtet. Seit einigen Jahren nun wird, durch den Verein Spurensuche im Südharz e.V., auch eine Aufarbeitung der Geschichte im Landkreis Osterode angestrebt. So konnte man 1999 an den ehemaligen Außenlagern Nüxei und Osterhagen Gedenksteine einweihen. In den nächsten Jahren wird seitens des Vereins eine weitere intensive Aufarbeitung dieser Geschichte im Rahmen des Karstwanderweges angestrebt. Es soll versucht werden mit Hilfe von Schautafeln oder anderen noch zu entwickelnden Konzepten diese Geschichte aufzuarbeiten und für den Besucher und Wanderer anschaulich und erlebbar zu gestalten. |